Richard Wagner
Die Meistersinger von Nürnberg
Ouvertüre
Vor genau 150 Jahren – am 21. Juni 1868 – gelangte Wagners dreiaktige Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ unter der Leitung von Hans von Bülow im Münchener Nationaltheater zur Uraufführung. Doch bis dahin vergingen Jahre einer wechselvollen Entstehungsgeschichte.
Im Rahmen eines Kuraufenthaltes in Marienbad keimten bei Wagner bereits 1845 erste Ideen zur Oper auf. Angedacht war von Beginn an eine zum tragischen Ende des „Tannhäuser“ kontrastierende heitere Materie im Sinne des antiken Satyrspiels. Erst 1861 machte sich Wagner jedoch wieder ans Werk, war er doch – wie häufiger in seinem Leben – in Geldnöten und auf der Suche nach einem Opernstoff, der ihm – möglichst rasch realisierbar – Erfolg bringen sollte. Nach Vorlegen eines konkreteren Entwurfs mit einem ansehnlichen Vorschuss vom Mainzer Verlag Schott bedacht, war Wagner zunächst „gerettet“ und vollendete in Paris völlig zurückgezogen in 30 Tagen den Text zur Oper. Der eigentlichen Komposition widmete er sich ab Februar 1862 in einem am Rhein gelegenen Landhaus in Wiesbaden-Biebrich.
Die Ouvertüre, die Wagner selbst als Vorspiel bezeichnete, entstand zwischen Palmsonntag und Ostern (dem 13. und 20. April) und ging unter seiner Leitung bereits im selben Jahr in Leipzig über die Bühne. Lange vor Vollendung der gesamten Oper also, die ihm erst durch die Förderung König Ludwigs II. von Bayern ermöglicht werden sollte.
Die Handlung unterscheidet sich wesentlich von jenen der meisten anderen Musikdramen Wagners mit überwiegend mythologischem Hintergrund, denn er greift den historischen Stoff des Meistersinger-Wettsingens reformatorischer Zeit in Nürnberg auf, inklusive dazugehöriger Persönlichkeiten wie dem berühmtesten der Meistersinger-Zunft, dem Schustermeister und Dichter Hans Sachs. In der Überzeichnung der Figur des Beckmesser karikiert Wagner gleichzeitig die Auswüchse der geltenden Bräuche, das pedantische Regelwerk der Meistersinger.
Musikalisch bedient sich Wagner häufig altmeisterlich-polyphoner Strukturen (etwa in Form einiger Fugen), so auch bereits im Hauptthema des Vorspiels, wodurch das Stück der Handlung gemäß gewollt archaische Züge erhält, die auch die gesamte Oper prägen. Feierliche Atmosphäre generiert das festliche C-Dur, Marschcharakter steht neben eingängigen „Volks“-Melodien und Chorälen. Diese gewisse, dem gesamten Opus innewohnende, Ambivalenz nimmt das Vorspiel vorweg, oder wie Friedrich Nietzsche formulierte: „Was für Säfte und Kräfte, was für Jahreszeiten und Himmelsstriche sind hier gemischt! Das mutet uns bald altertümlich, bald fremd, herb und überjung an, das ist ebenso willkürlich als pomphaft-herkömmlich, das ist nicht selten schelmisch, noch öfter derb und grob, das hat Feuer und Mut und zugleich die schlaffe falbe Haut von Früchten, welche spät reif werden. […] Alles in allem keine Schönheit, kein Süden, nichts von südlicher Helligkeit des Himmels, nichts von Grazie, kein Tanz, kaum ein Wille zur Logik; eine gewisse Plumpheit sogar, […] etwas Willkürlich-Barbarisches und Feierliches, ein Geflirr von gelehrten und ehrwürdigen Kostbarkeiten und Spitzen …“